«Wo sind die Leute in den Pfarreien, die sich mit Liturgie beschäftigen?»

Kirchweihgottesdienst 2025 in Wilen VS. (Foto: ms)

Wir leben in widersprüchlichen Zeiten. Einerseits schreitet die Säkularisierung voran, andererseits erleben wir eine Rückkehr des Heiligen. In England und Frankreich gibt es gerade unter sehr jungen Menschen eine Welle des Kircheneintritts. Für einige französische Diözesen sprach Patrick Prétot, Benediktiner und Liturgiewissenschaftler, geradezu von einer Explosion des Interesses. Bisher ist das Phänomen bei uns überschaubar und auf Zentrumskirchen beschränkt. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass Säkularisierung kein unumkehrbarer Prozess darstellt, obwohl das oft behauptet werde.

Verlust liturgischen Wissens

Dieses Interesse stösst oftmals auf erschöpfte Pfarreien. Martin Klöckener betonte, dass elementares Wissen verloren gegangen sei, so ist es nicht mehr selbstverständlich, wie man z.B. ein Weihrauchfass einsetzt. Und er fragte: «Wo sind die Leute in den Pfarreien, die sich mit Liturgie beschäftigen?» Es herrsche ein grosser Mangel an liturgischer Bildung. Die Krise der Liturgie sei auch eine Krise des Wissens um die Liturgie. Viele Gläubige verstünden nicht, was in einem Gottesdienst geschieht, so Klöckener. Er hatte von 1994 bis -2022 den Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg inne und war Gründungsdirektor des Instituts für Liturgiewissenschaft. 

Die lehramtlichen Texte wiederholen die Formel von der Eucharistie als «Mitte und Höhepunkt der Kirche». Gunda Brüske, Leiterin des Liturgischen Instituts der deutschsprachigen Schweiz, fragte in ihrem Beitrag, wie Menschen überhaupt an die Eucharistie herangeführt werden könnten. Das ist eines der Probleme, mit der die Kirche konfrontiert ist: Der Gottesdienst ist im Empfinden vieler Menschen weit von ihrer Lebenswirklichkeit entfernt. Die Verantwortung dafür muss zum Teil die Kirche selbst übernehmen, mit unsorgfältigen Gottesdiensten und mit schlechten Predigten, «die einen Gottesdienst kaputt machen».

Alle sind zur tätigen Teilnahme eingeladen

Das Zweite Vatikanum hatte die tätige Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie als Ziel genannt. Pascal Desthieux, Rektor der Genfer Basilika Notre Dame zeigte, wie das heute konkret eingelöst werden kann. In seiner Pfarrei werden die Fürbitten nicht vom Pfarrer sondern von der Lektorin oder vom Lektor geschrieben. Desthieux nannte Beispiele aus Frankreich, wo Gläubige Gebetsanliegen in ein Heft eintragen, aus dem dann die Fürbitten formuliert werden. Damit wird das allgemeine Priestertum aller Getauften im Gottesdienst sichtbar. Welch ein Kontrast zu den oft langatmigen und willkürlich zusammengestellten Fürbitten in vielen Pfarreien.

Birgit Jeggle-Merz, emeritierte Professorin für Liturgiewissenschaft in Luzern und Chur, kritisierte die Engführung von Liturgie auf Eucharistie, die vielerorts vor leeren Kirchenbänken gefeiert werde. Die Konzentration auf die Messe habe in einigen Landstrichen zur Verödung des kirchlichen Lebens beigetragen, konstatierte sie bitter.

So zentral die Eucharistie im katholischen Verständnis auch ist, sie stellt nicht die einzige Form des Gottesdienstes dar: Vor allem das Stundengebet mit seiner feierlichen Form hätte eine Zukunft – auch angesichts der kommenden Personalkrise der Kirche. Denn Laiengruppen können das Stundengebet selbständig beten. Allerdings erfordert das Stundengebet in benediktinischer Tradition etwas Übung.

Die diakonische Dimension

Diakonie bildet zusammen mit Liturgie und Verkündigung eine der Verwirklichungsformen von Kirche. Die Beziehung zur Diakonie wurde von Benedikt Kranemann, Professor in Erfurt, zum Thema gemacht: Nicht die Starken beten für die Schwachen, vielmehr ist die gottesdienstliche Gemeinde eine Gemeinschaft, in der in Christus alle gleich sind und die auch für alle offen ist. Das «todos, todos, todos» von Papst Franziskus bekräftigt das. Klöckener und Prétot haben 2015 in einem Aufsatz diesen Umstand so auf den Punkt gebracht: «Alles liturgische Handeln wird in der Zuwendung zu den Mitmenschen seine Wahrhaftigkeit unter Beweis stellen müssen.»

Die Herausforderungen für Kirche im Allgemeinen und für Liturgie im Besonderen sind heute riesig: Nur noch ein Viertel der Menschen geben an, an einen personalen Gott zu glauben, während rund die Hälfte angibt, die Existenz einer höheren Macht anzunehmen. Schon der trinitarische Gruss «Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes» wird für viele zum Stolperstein. Andererseits gibt es eine Sehnsucht nach dem Heiligen, die sich namentlich bei ganz Jungen zeigt. Mögen die Zahlen noch tief sein, das Phänomen ist sichtbar, nicht zuletzt dort, wo die Liturgie gepflegt wird. Dazu gehört auch eine Kirchenmusik auf hohem Niveau.

Religion ist Unterbrechung

Nun ist Liturgie voraussetzungsreich. Es braucht gute Texte, einen stimmigen Kirchenraum und vor allem liturgische Sensibilität, damit ein Gottesdienst gelingt. Nicht zuletzt braucht es Momente der Stille als Momente der Zwiesprache mit Gott.

«Religion ist Unterbrechung», lautet das berühmte Dictum von Johann Baptist Metz. Im besten Fall wird Liturgie dann «zum Modell einer lebenswerten Welt», zur «Quelle der Hoffnung», wie Martin Klöckener festhielt. Jedenfalls verfügt die katholische Kirche über einen liturgischen Schatz, den zu heben sie nicht immer imstande ist. Umso wichtiger ist heute die Tätigkeit des Liturgischen Instituts. (kath.ch)

Das Liturgische Institut der deutschsprachigen Schweiz in Freiburg wurde 1963 gegründet. Es versteht sich als Kompetenzzentrum für Fragen des Gottesdienstes der katholischen Kirche. Ein Freundeskreis unterstützt die Arbeit des Instituts.